Helmut Zenz

Aus den Erfahrungen eines polyphonen Wahrheitssuchers

Pädagogik im Internet

Hier wird noch eifrig gearbeitet. Bitte besuchen Sie diese Seite bald wieder. Vielen Dank für ihr Interesse!

Geplant ist hier die Darstellung meiner religionspädagogischen Wurzeln (Maria Montessori), Erfahrungen (Religionslehrer i.K. an Grund- und Hauptschulen) und Themen (Guardinis Bildungsansatz für heute) sowie meine Erkenntnisse zur Don-Bosco-Pädagogik und ihrer Präventivmethode. 

Als Vorgeschmack schon einmal eine meiner Deutungen des "Präventivsystems" von Don Bosco:

Das Präventivsystem der salesianischen Pädagogik - mit Hilfe des Logos der Salesianer Don Boscos gedeutet 

Die drei Säulen des Präventivsystems
Die moderne, sich immer stärker und schneller industrialisierende und technisierende Welt ist seit dem 19. Jahrhundert mehr denn je eine Zeit der Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit. Es entspricht dabei geradezu der abendländischen Denktradition, Verstand und Gefühl, Rationalität und Emotionalität als unversöhnliche Gegensätze, ja als Widerspruch zu sehen. Viele Jugendliche und auch Don Bosco selbst haben im 19. Jahrhundert unter diesem vielfach behaupteten Widerspruch von „Religione“ (Glauben, Vertrauen, Bindung) und „Ragione“ (Vernunft, Verstand, Argument) wahrlich gelitten. Dafür gibt es viele beeindruckende Zeugnisse. Es wurde versucht, ihnen weis zu machen, gleichermaßen rational und religiös zu sein, passe nicht zusammen. Und im Grunde denken ja auch heute noch viele Menschen so.
Don Bosco hat sich damit nicht zufrieden gegeben. Er stellte die Begriffe „Ragione“ und „Religione“ einander als die ersten beiden Säulen seines pädagogischen Präventivsytems gegenüber, weil für ihn, anders als für die dialektisch denkenden und handelnden Menschen seiner Zeit, die beide Pole einander brauchen und ergänzen, und deshalb auch in Spannung gehalten und ausgehalten werden müssen. Der Religionsphilosoph Romano Guardini spricht in diesem Zusammenhang von einer „lebendig-konkreter Spannungseinheit“. Beide Grundpole sah Don Bosco in jedem Jugendlichen angelegt und wollte sie deshalb beide gleichermaßen durch die salesianische Erziehung entfaltet wissen. Doch damit diese lebendig-konkrete Spannungseinheit gelingen kann, braucht es eben noch ein „Drittes“, die dritte, mittlere Säule, die die beiden Flügel umfängt.
Don Bosco wählte für dieses „Dritte“ den Begriff „amorevolezza“. Dieser ist als Hauptwort auch im Italienischen ein Kunstwort, während das Adjektiv „amorevole“ gut geläufig ist. Das deutsche Pendant dazu ist als Adjektiv „liebevoll“, als Hauptwort müsste infolgedessen „Liebevolligkeit“ bzw. „Liebesfülle“ übersetzt werden. Das Problem der unbefriedigenden Übersetzung mit dem allgemeineren Begriff „Liebe“ oder mit dem bisher gewählten Begriff „Liebenswürdigkeit“ (eigentlich amabilità) besteht vor allem darin, dass damit dem Wort entweder eine zu große Emotionalität beigefügt wird oder aber die Zielrichtung der Liebe vom Empfänger zum Sender abgeändert wird. Die Emotionalität im Konzept Don Boscos liegt nämlich im polaren Begriff „Religione“ analog zur Rationalität im Begriff „Ragione“. Und die Aufgabe der amorevolezza ist eben nicht, dafür zu sorgen, dass der Salesianer „liebenswürdig“ ist, das heißt etwas an sich hat, was es den Jugendlichen ermöglicht, den Salesianer zu lieben; sondern dass der Salesianer stets so voller Liebe ist, dass er den Jugendlichen durch seine Liebevolligkeit helfen kann, die Polarität zwischen Ragione und Religione auszuhalten und zu gestalten. Der zentrale Begriff „amorevolezza“ ist hier also eindeutig ein spiritueller, kein psychologischer Begriff.
Warum es sich bei „Ragione“ und „Religione“ um ein Gegensatzpaar handelt, wird auch dadurch deutlich, dass das widersprechende Gegenteil zu rational eben gerade nicht emotional ist, sondern irrational, und das Gegenteil zu emotional ist auch nicht rational, sondern emotionslos. Rationelle Gefühlskälte (kalte Analyse) und emotionelle Vernunftwidrigkeit (Gefühlsduselei), das sind die Widersprüche, die jeglichen erzieherischen Zugang gerade zu jungen Menschen zunichtemachen. Mit vernünftigen Argumenten, mit vertrauensbildenden Maßnahmen, mit liebevoller Spiritualität können Jugendliche überzeugt werden, dass auch ihr Leben einen Sinn hat und gelingen kann.

Das Präventivsystem im Logo der Salesianer Don Boscos
Das Logo der Salesianer Don Boscos wurde schon in vielfacher Weise gedeutet, auch im Blick auf die salesianischen Grundkonzepte und –begriffe. Viele entdecken darin eben ein Haus mit drei kräftigen Säulen. Diese Säulen können dann eben auch  für die drei Säulen des  salesianischen „Präventivsystems“ in der Pädagogik Don Boscos stehen, dass er dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Repressivsystem entgegengesetzt hat. Manche sehen in den Säulen aber auch die drei Säulen des salesianischen Lebensstils: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“.
In jedem Falle werden die Säulen aber überspannt von einem festen Dach, was als Zeichen der Familiarität gedeutet werden kann. In den drei Punkten über dem Dach sehen manche dann zum Beispiel drei Bälle für das Jonglieren, das Spielerische, die Lebensfreude. Die drei Punkte über dem Dach weisen aber auch darauf hin, dass man alles auch ganz anders, nämlich personenbezogen sehen kann, wenn man in den drei Punkten eben drei Köpfe sieht. In der Mitte steht dann eine größere Person, nämlich Don Bosco, mit ausgebreiteten Händen. Zwei kleinere Personen, also zwei Jugendliche, haben sich unter seine schützenden Hände begeben. So vermittelt dieses Zeichen Offenheit und Schutz.
Außerdem weist das Logo wie ein Pfeil nach oben, um die transzendente Dimension anzuzeigen. Die Farbe Rot steht schließlich natürlich für die Liebe.


Sechs „I“ als Erklärungshilfe für die drei Säulen

Bei genauerem Hinsehen könnte man in dem Zeichen aber auch drei „i“ erkennen.  Gemäß den drei Säulen könnte das erste „i“ zum Beispiel für Intelligenz und Innovation (Ragione), das zweite „i“ für Intuition und Inspiration (Religione) und das dritte „i“ für Integration und Interesse (Liebevolligkeit) stehen. Mit diesen sechs „I“-Begriffen könnte man dann versuchen, die drei Säulenbegriffe näher zu beschreiben und zu deuten.
Den Salesianern Don Boscos geht es um eine ganzheitliche Bildung und Förderung benachteiligter junger Menschen, die eben nicht nur Vernunft und Verstand, das rationale Vermögen, anspricht und betont, aber auch keineswegs nur über menschliche und religiöse Bindung und Emotionalität arbeitet. Don Bosco wusste darum, dass die Kreativität und der Wandel immer beider Quellen bedarf.
Wenn der Benediktinerpater und Zen-Meister Willigis Jäger sagt: „Alle Kreativität kommt aus einem Urgrund, der mit Rationalität nichts mehr zu tun hat. Die Kunst ist die Schwester der Mystik, das was ich plötzlich intuitiv begreife und in ein Bild oder eine Musik bringe“, dann steht dem eben ein ganz anderer Ansatz diametral entgegen, der die Kreativität als Ergebnis von Intelligenz und Innovation sieht. Auch hier haben wir in der abendländischen Kultur wieder die beiden Pole, die im Blick auf Kreativität und Wandel eben spannungsreich, aber auch als Spannungseinheit zu verstehen sind. Der Philosoph Henri Bergson hat in seiner Philosophie die Intuition und Inspiration als Paar miteinander vereint, um kreative Evolution zu beschreiben, aber er war dabei erklärter Anti-Intellektualist. Genau dieses „Anti“ wird aber spätestens dann zum Problem, wenn zum Beispiel technischer Wandel andererseits nur noch mit den Mitteln der Intelligenz zu verstehen und zu begreifen ist, so wie das die Aufklärung im Gefolge des Philosophen Immanuel Kant vorgegeben hat.
Weder in der Vorstellung über die Erziehungsziele noch in der Erziehung selbst dürfen daher Intuition und Intelligenz, Inspiration und Innovation gegeneinander ausgespielt werden. Für einen salesianischen Erzieher gibt es kein „Das verstehst du nicht!“ oder auch kein die Argumentation ausschaltendes „Basta“, aber ebenso wenig ein Drohen mit Bindungs- und Vertrauensentzug, nicht einmal ein „Wenn du das nicht verstehst, bist du selber schuld“.


KREATIVITÄT


Pole

Ragione = Argumentation, Begründung, Verständnis, Rationalität

Religione = (Rück-)Bindung, Fühlen, Vertrauen, Emotionalität

Entscheidungsvermögen

Intelligenz (Intellekt) - Kopf

Intuition - Bauch

Gestaltungsziel

Innovation = Erneuerung, Forschung, Fortschritt (renovative Anpassung)

Inspiration = Erleuchtung, Eingebung, Bewahrung (bewahrende Tradition)


WANDEL


Auch für die Amorevolezza gibt es in dieser Hinsicht zwei „I“s: Das Interesse („Dazwischen-Sein“) und die Integration („Dazu-Gehören“).

Das Interesse erinnert sehr stark an Don Boscos Verständnis von Assistenz („Herantreten“). Nicht das gut gemeinte, aber letztlich nur kontrollierende Dabei- oder Danebenstehen, sondern das „Dazwischen-Sein“ ist das Entscheidende. Auch nicht das vor Dummheiten aller Art bewahrende „an Stelle von“, sondern das teilnehmende „gemeinsam mit“ steht beim Inter-esse im Vordergrund. Romano Guardini schreibt einmal über den Weg in einer persönlichen Begegnung: „Ich treffe einen Menschen - schon liegt ein langer Weg dahinten, denn ich komme aus meinem Leben her, er aus dem seinen, und jeder hat sein Schicksal gehabt. Dann geschieht Begegnung; das Gemüt erfährt einen Eindruck; ein Interesse erwacht, ein Vertrauen entsteht, und es entwickelt sich, von Mal zu Mal, was da werden soll - eine Freundschaft, eine Werkgemeinschaft, eine Liebe, samt allem, was es darin an Krisen und Überwindungen, an Erfüllung und Enttäuschung gibt.“ (Guardini, Der Anfang aller Dinge / Weisheit der Psalmen, S. 131) Eine Person kann sich nur ganzheitlich entwickeln, wenn es ein echtes Interesse an ihr und wenn es eine umfassende Integration von ihr gibt, genauer: wenn dieses Interesse zu einer größtmöglichen Integration führt. Liebevolles Interesse wird heute meist mit dem Begriff „Wertschätzung“ wiedergegeben, liebevolle Integration liegt im salesianischen Verständnis von freundschaftlicher „Familiarität“. So kommt aus dem echten Interesse und der gelungenen Integration jenes Menschseins und Menschlichseins zum Intellekt hinzu, die Innovation nicht kaltherzig, sondern menschlich macht. Innovation gibt es letztlich nur wenn die Menschlichkeit ihren Platz hat.
Salesianische Erzieher sollten als „Assistenten“ ihren Schützlingen mit ehrlichem Interesse, ermutigend und unterstützend zur Seite stehen. "Helfen heißt, da sein, ganz einfach da sein, mit Interesse da sein." (Don Bosco). Dieses Interesse „liebt, was die Jugend liebt“, aber nicht nur um einen Zugang zur Lebenswelt der Jugendlichen zu finden und um sich der Jugend „anpassen“ zu können, sondern um die Lebenswelt der Jugend zu erfahren und zu verstehen und somit zu erspüren, was der Jugend von heute wichtig ist und warum. Nur wer die Jugend versteht und ihnen sowohl rational als auch emotional auch etwas zutraut, wird in der Lage sein, dazu beizutragen, die rationalen und emotionalen Verwundungen ihrer Kindheit zu heilen und ihre Talente für eine gelingende Zukunft zu wecken. Das Interesse an der Person und der Lebenswelt des Jugendlichen ist jenes Entscheidungsvermögen, das uns hilft, im Jugendlichen selbst ein Interesse für sich und seine Zukunft zu wecken, und - mit Intelligenz (Kopf) und Intuition (Bauch) gleichermaßen - die notwendigen Lebensentscheidungen für Schule, Beruf und Freizeit sowie im Blick auf die familiären, freundschaftlichen und partnerschaftlichen Beziehungen hin zu treffen.
Der Philosoph John Rawls ist davon überzeugt, dass der Mensch ein rationales Interesse daran hat, über möglichst viele soziale Grundgüter, wie Einkommen, Wohlstand und Bildung zu verfügen, nicht zuletzt weil diese Grundgüter seine Chancen erhöhen, einen sinnvollen Lebensplan zu entwickeln. Er hat aber ein ebenso starkes emotionales Interesse, über möglichst viele soziale Grundbeziehungen, über Wertschätzung und Anerkennung zu verfügen. Nur beides zusammen trägt zu einer ganzheitlichen Identitätsfindung eines Jugendlichen bei. Der Jugendliche, der sich seiner Identität noch nicht sicher ist, scheut vor Beziehungen, kann sich nicht auf Gemeinschaft einlassen, bis hin zur Verweigerung von Integration. Je sicherer er seiner selbst wird, umso mehr sucht er sie in Form von Freundschaft, Wettstreit, Gefolgschaft, Liebe. So bedeutet Ich-Integrität auch eine rationale und emotionale Integration (Innovation und Inspiration), die es dem Individuum gestattet, sich einer Sache als Anhänger anzuschließen, aber auch die Verantwortung der Führung auf sich zu nehmen. Beides, Gefolgschaft und Führung, muss vom Jugendlichen gelernt und geübt werden, sei es im politischen oder religiösen Leben, in der Wirtschaft oder in der Technik, im Lebensstil, in Kunst oder Wissenschaft. Gefolgschaft ohne Fanatismus und Führung ohne Gewalt sind Formen der Integration, die Rationalität und Emotionalität gleichermaßen zulassen und korrigieren. Es geht nicht um ein Dazugehören-Wollen um jeden Preis. Bei Don Bosco wird diese Verselbständigung der Person und ihre gesellschaftliche Integration mit dem Erziehungsziel „ehrenwerter Bürger“ und „guter Christ“ umschrieben. Das in diesem Sinne authentische Vorbild salesianischer Erzieher trägt wesentlich zur sozialen und beruflichen Integration bei.

Pol "Ragione"

Spannungseinheit "Amorevolezza"

Pol "Religione"

Intelligenz = rationales Interesse

Interesse

Intuition = emotionales Interesse

Innovation = rationale Integration

Integration

Inspiration = emotionale Integration